Wie die Erziehungsberatungsstelle der Caritas in Aschaffenburg in Zeiten der Coronakrise arbeitet
Aschaffenburg (POW) Schon eine ganze Weile leben die Menschen in Deutschland mit Ausgangsbeschränkungen. Für Familien mit Kindern und Jugendlichen hat das zur Folge, dass man noch viel enger zusammenlebt als sonst. Die Eltern müssen nicht nur die Lehrer und Erzieher, sondern auch die Freunde, die geschlossenen Spielplätze und Jugendeinrichtungen ersetzen.
Das ist für viele nicht leicht. Hinzu kommt, dass man die Hilfe einer Beratungsstelle momentan nicht in der üblichen Form in Anspruch nehmen kann. Die Aschaffenburger Caritas-Erziehungsberatungsstelle ist weiterhin für die Eltern und Kinder da. Im folgenden Interview erklärt der Diplom-Psychologe und Stellenleiter Andreas Purschke, wie das funktioniert und mit welchen Problemen er und seine Mitarbeiter in diesen Coronazeiten konfrontiert werden.
POW: Wie hat sich durch Corona die Arbeit in Ihrer Beratungsstelle verändert?
Andreas Purschke: Wir sind hier sieben Mitarbeiter, die Beratungen abhalten. Normalerweise klingelt es regelmäßig an der Türe, Menschen kommen ins Wartezimmer, Familien mit ihren Kindern und ganz viel Publikumsverkehr. Aber jetzt ist es total ruhig. Die Termine sind erst mal storniert. Wir beraten jetzt ganz viel über Telefon und über E-Mail. Auch per Online-Beratung kann man uns erreichen.
POW: Funktioniert das gut?
Purschke: Grundsätzlich funktioniert das, allerdings gibt es manchmal Probleme mit den Telefonleitungen. Uns fällt auch auf, dass die Menschen mit uns telefonieren und manchmal gleichzeitig andere Sachen machen. Das ist halt ein Unterschied: Wenn sie hier sind, sind sie konzentriert und nur für diese Sache hier, während sie zu Hause schnell abgelenkt sind. Es ist auch nicht leicht, weil viele Eltern im Homeoffice sind und permanent von ihren Kindern gestört werden. Da kann man dann nicht in Ruhe telefonieren.
POW: Können Sie auch mal Ausnahmen machen und Menschen trotzdem in die Einrichtung bestellen?
Purschke: Ja, bei bestimmten Fällen, wo es sehr schwierig ist, zum Beispiel bei begleiteten Umgängen. Die finden weiterhin statt, allerdings in begrenztem Ausmaß. Und da gibt es Jugendliche, die schwierig erreichbar sind und unter Depressionen leiden. Da machen wir es manchmal möglich, dass wir uns mit ausreichenden Sicherheitsvorkehrungen trotzdem treffen.
POW: Haben sich durch die Beschränkungen, die zur Virusbekämpfung eingeführt wurden, auch die Themen der Beratungsgespräche geändert?
Purschke: Wir haben gemerkt, dass sich die Konflikte, die es schon vorher gab, in manchen Fällen verschärfen. Ein Beispiel: Es gibt Eltern, die sich schon vorher bei ihren Kindern schlecht durchsetzen konnten. Jetzt schickt die Schule viele Aufgaben, die ordentlich gemacht werden sollen. Wenn dann die Kinder sich verweigern und sagen „Das mache ich nicht“, dann geht es schnell heiß her. Wir sind schon angerufen worden von Eltern, die zu uns gesagt haben: „Sprechen Sie mal mit meinem Sohn, damit der endlich mal die Sachen für die Schule macht.“ Was sich auch verstärkt: Vorher war die Aufgabenverteilung eingespielt. Jetzt haben wir viele Väter, die zuhause sind, und die Mütter erwarten, dass sie im Haushalt mithelfen. Und dann passiert nichts – da sind dann die Mütter genervt, die Väter dazu und die Kinder dann natürlich auch noch.
POW: Machen Sie sich Sorgen um diese Familien?
Purschke: Ich sehe da zumindest einige Problemfelder. Da ist zum Beispiel die Chancengleichheit, die auf der Strecke bleibt. Eine Abiturientin sagt uns, dass sie es gemein findet, dass ihre Freundin, deren Eltern Lehrer sind, gut mit ihnen üben kann, und sie selber hat niemanden, der ihr hilft. Oft gibt es auch keinen Drucker zuhause und man kann die Sachen nur von einem Bildschirm lernen. Wer nur über das Smartphone ins Netz kann, kommt mit dem mobilen Datentransfer an seine Grenzen. Ein anderes Problem: Die Frustrationstoleranz schmilzt. Viele explodieren, Kinder und Eltern rasten aus. Wir hatten Anrufe von Müttern, die sich beklagen, dass der Vater keine Geduld hat und immer wieder ausrastet. Der sagt dann am Telefon: „Ich kann das nicht, da gehe ich lieber in den Keller.“ Außerdem sind viele Familien total verunsichert. Dürfen Kinder im Hof spielen, wenn da auch andere Kinder sind? Und dann gibt es Nachbarn, die Mitbewohner anschwärzen, das ist auch gesellschaftlich ganz furchtbar. Manche haben große Angst, das Bußgeld nicht zahlen zu können, und gehen deswegen lieber trotz des schönen Wetters gar nicht mehr vor die Tür. Überhaupt fehlen den Kindern die sozialen Kontakte und die körperliche Bewegung.
POW: Gibt es auch positive Effekte?
Purschke: Ja, wir stellen auch fest, dass ältere Kinder und Jugendliche durch die Langeweile neue Dinge für sich entdecken. Manche fangen an zu kochen oder holen ein Musikinstrument wieder hervor, das vorher nur in der Ecke lag.
POW: Glauben Sie, dass diese Zeit auch nachhaltige Folgen haben wird?
Purschke: Ich glaube, dass den Menschen momentan bewusst wird, wie wichtig es ist, Kontakte zu haben. Viele äußern jetzt, wie wichtig das Miteinander im Leben ist, zum Beispiel wenn sie einen Geburtstag nicht mit der Oma feiern können. Ich bin aber skeptisch, ob das lange anhält. Wir kennen das aus der Beratung, dass man hier schnell sagt: Ja, wir wollen es besser machen. Aber dann ist es oft zwei Tage später wieder vergessen.
POW: Was wird die Beratungsstelle denn von den neuen Beratungsformen am Telefon und im Internet beibehalten?
Purschke: Wir sind schon froh, wenn wir wieder persönliche Gespräche führen können. Die digitalen Möglichkeiten sind eine gewisse Ergänzung, die haben wir auch vor der Krise hin und wieder genutzt. An diese Mittel haben wir uns jetzt besser gewöhnen können. Aber der „Face-to-Face“-Kontakt wird weiterhin sehr wichtig bleiben.
Interview: Burkard Vogt (POW)